M. Attridge u.a. (Hrsg.): Vatican II.

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Titel
Vatican II.. Expériences canadiennes / Canadian Experiences


Herausgeber
Attridge, Michael; Catherine E., Clifford; Gilles, Routhier
Erschienen
Ottawa 2011: Presses de l’université d’Ottawa
Anzahl Seiten
580 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Michael Quisinsky

Die Universalkirche besteht «in und aus Ortskirchen» (vgl. LG 23). Wie das II. Vaticanum nicht ohne das Zusammenwirken verschiedenster im Leben der Ortskirchen gewachsener und von diesem genährter Dynamiken zu verstehen ist, so ist der Wert der Erfahrungen, die in diesem Band dokumentiert werden, keineswegs nur für Kanada von Bedeutung. Im Gegenteil handelt es sich hierbei um Einsichten, die sowohl für das Verständnis des Konzils selbst als auch seiner Rezeption und Hermeneutik von grundsätzlichem Interesse sind. Die Herausgeber Michael Attridge (Toronto), Catherine E. Clifford (Ottawa) und Gilles Routhier (Québec) sind nicht nur ausgewiesene Konzilsforscher, sondern beweisen mit diesem gemeinsam verantworteten Band auch Sinn für interuniversitäre Zusammenarbeit, die sie i.Ü. auch auf internationaler Ebene pflegen. Nicht zuletzt aufgrund dieses internationalen bzw. weltkirchlichen Horizonts, auf dessen Höhe sich Konzeption und Durchführung dieses Bandes bewegen, kann denn auch die Konzilsforschung weltweit von dem Knowhow profitieren, das in den hier versammelten Beiträgen direkt und indirekt zum Ausdruck kommt.

Die 27 Beiträge des Bandes sind drei Teilen zugeordnet, die ihrerseits jeweils bis zu drei Unterteilungen aufweisen. Zunächst (Part I Section I) werden verschiedene Perspektiven auf das Konzil eingenommen, wobei methodisch hier die Untersuchung von Zeitungen und Zeitschriften im Mittelpunkt steht. Sodann (Part I Section II) wird der Blick nichtkatholischer Christen, und im Falle Kanadas sind dies nicht zuletzt auch die Anglikaner und Methodisten, auf das II. Vaticanum analysiert, bevor (Part I Section III) die spezifische Zugangsweise von Theologen zum II. Vaticanum thematisiert wird. Hinsichtlich der kanadischen Beteiligung am Konzil widmen sich sechs Beiträge (Part II Section I) nicht nur dem II. Vaticanum selbst, sondern auch der kanadischen Bischofskonferenz sowie der Ausserordentlichen Synode von 1985, bevor (Part II Section II) der Konzilserfahrung vornehmlich von Theologen nachgegangen wird. Schliesslich behandelt ein dritter Teil die Konzilsrezeption im Bereich von Liturgie und Katechese (Part III Section I), bei Laien und Religiosen (Part III Section II) sowie im Zusammenhang mit Fragen der Ökumene und der Religionsfreiheit (Part III Section III), wobei im letztgenannten Fall grundsätzlich relevante dogmatische Fragen vor dem konkreten Hintergrund der kanadischen geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge behandelt werden. Es ist Ausweis der Komplexität der Untersuchungsgegenstände, aber auch der Qualität der Beiträge, wenn sie prinzipiell unterschiedlichen «Parts» bzw. «Sections» zugeordnet werden können und so verwundert es nur auf den ersten Blick, wenn beispielsweise diejenigen von Peter Galadza und Jaroslav Z. Skira über den griechisch-katholischen Metropoliten Maxim Hermaniuk in zwei verschiedenen «Sections» ihren Platz gefunden haben anstatt direkt aufeinanderzufolgen.

Drei Aspekte sollen aus der Vielzahl der Anregungen herausgegriffen werden, die sich bei der Lektüre des Bandes aufdrängen. Erstens stellt die spezifisch kanadische konfessionelle Situation einen Zusammenhang bereit, in dem das II. Vaticanum nicht nur für die römisch-katholische, sondern, wie im besten Sinne exemplarisch gezeigt wird, auch für die anglikanische Kirche einen Lernprozess darstellte. So bot das Konzil den Anglikanern ein «Modell» (147), sich in einer neuen und herausfordernden Weise ihrer Identität zu vergewissern. So konnten, wie Alan J. Hayes zeigt, ihre stark von der englischen Herkunft geprägten und dadurch z.T. eher an der spezifischen Geschichte anstatt am jeweiligen theologischen Gehalt orientierten Ausdrucksformen im Lichte einer Volk- Gottes-Ekklesiologie hinterfragt und erneuert werden, wobei Hayes mit John Gibaut auch die 1976 erstmals erfolgte Frauenordination als Ergebnis dieses Prozesses ausmacht (145). Es wäre, weit über Kanada hinaus, zu fragen, inwieweit dieser Modellcharakter des II. Vaticanums für nichtkatholische Kirchen und kirchliche Gemeinschaften sich in verschiedenen Zusammenhängen konkretisierte, aber freilich auch umgekehrt, inwiefern er selbst in seinen Voraussetzungen und Implikationen die reflektierte Eigenwahrnehmung der Katholiken prägen konnte. Zweitens kann Jacques Racine in seiner Fallstudie zu den kanadischen Bischöfen im Umfeld der Ausserordentlichen Bischofssynde 1985 exemplarisch aufzeigen, vor welche Chancen, aber auch vor welche Schwierigkeiten sich nach dem Konzil die Weltkirche gestellt sah, insofern sie ihre katholische Weite in ihren Strukturen zur Entfaltung zu bringen versuchte, die zugleich im Dienst des konkret gelebten Glaubens vor Ort wie der Einheit der Weltkirche stehen (dazu die kritische Einschätzung Racines 291). Auch hier hat der am Beispiel Kanadas aufgezeigte Fragehorizont grundsätzliche Relevanz und regt methodisch wie inhaltlich zu Studien dieser Art über andere Regionen an. Am Beispiel der Katechese drittens können Myrtle Power und John van den Hengel Mechanismen ebenjener Katholizität aufzeigen, wie sie sich im gegenseitigen Voneinanderlernen der einzelnen Ortskirchen manifestieren. Freilich handelt es sich hierbei zumindest im konkret untersuchten Fall nicht einfach um einen gleichberechtigten Austausch, sondern um einen komplex wirkenden Einfluss europäischer Entwicklungen in sich just durch deren kreativen Aneignung emanzipierenden Ortskirchen. Als Beispiel wird dabei etwa die Rezeption des Denkens J. A. Jungmanns genannt, dem sich u.a. der spätere Kardinal von Toronto, Gerald Emmett Carter, in seinen theologischen bzw. katechetischen Schriften widmete (452). Inwieweit in diesen Austauschbewegungen z.B. der Einfluss der belgischen Religionspädagogin Christiane Brusselmanns (459) nicht nur historischen Verbindungen und insbesondere der gemeinsamen Sprache geschuldet ist, sondern auch der spezifischen Rolle der Pfarrei im gesellschaftlichen Gefüge Kanadas bis in die unmittelbare Nachkonzilszeit, könnte eine der zahlreichen Fragen sein, denen sich ein internationaler bzw. -kontinentaler Vergleich widmen könnte. Denn in der Tat ist eines die Inspiration durch eine Idee, ein anderes der mit der Verwurzelung im Ursprungsland einerseits und der kreativen Aneignung im Zielland andererseits gegebene «Überschuss» an Voraussetzungen und Implikationen, Erfahrungen und Einsichten.

Wie das letzte Beispiel zeigt, war das II. Vaticanum weit über seine Teilnehmer i.e.S. hinaus ein Katalysator des Weltkircheseins und -werdens. Den damit verbundenen Grundlegungen und Implikationen nachgehen kann man freilich nur, wenn man sich der Mühe exemplarischer Fallstudien unterzieht und diese doch zugleich inhaltlich wie methodisch in einen grösseren Horizont stellt. Dem vorliegenden Band gelingt dies in vorbildlicher Weise, und so kann er einen wertvollen Beitrag für die Konzilsforschung leisten, zumal er durch ein Register hervorragend erschlossen ist. Gerade die Schweiz, so darf man abschliessend vermuten, dürfte durch ihre Mehrsprachigkeit, wie sie auch für Kanada charakteristisch ist, und die damit verbundenen, im selben Land koexistierenden, unterschiedlichen Einflüsse aus verschiedenen Sprach- und Kulturräumen, ein besonders lohnenswerter Untersuchungsgegenstand vergleichender Konzilsforschung sein, die sich auf ebendiese Wiese ihrerseits in den Dienst des kirchlichen Lebens der Gegenwart
stellen kann.

Zitierweise:
Michael Quisinsky: Rezension zu: Michael Attridge/Catherine E. Clifford/ Gilles Routhier (Hg.), Vatican II. Expériences canadiennes / Canadian Experiences, Ottawa, Presses de l’université d’Ottawa/University of Ottawa Press, 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 746-747.

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